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Angela Berlis: In der Krise leben

 
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Gode Pötter
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BeitragVerfasst am: 16.12.2007, 09:09    Titel: Angela Berlis: In der Krise leben Antworten mit Zitat

Deutscher Evangelischer Kirchentag, Köln 2007
Veranstaltung am 07.06.2007 um 11:00 Uhr im Congress-Centrum Ost , Messegelände

Vortrag: Prof. Dr. Angela Berlis, alt-kath.Theologin und Priesterin, Utrecht / Niederlande

Quelle: www.kirchentag2007.de/presse/dokumente/dateien/FEM_1_1332.pdf




Umgang mit Krisen
Impulse der feministischen Theologie

Wann und wie fangen Krisen eigentlich an? Woran merken wir, dass wir uns in einer Krise befinden? Wenn wir nicht mehr das satte Rot einer Rose wahrnehmen oder die Perlen des Taus auf dem frühmorgendlichen Gras, wenn der Frühling nicht mehr nach frischem Neuanfang duftet, sondern alles dumpf, abgeschmackt und farblos erscheint? Wenn die Unruhe in uns das innere Gleichgewicht übertrumpft, die Angst sich wie ein Teerfleck ausbreitet und das helle Lachen unseres Herzens verdrängt? Wenn sich ein Schatten über unser Leben legt oder über das einer lieben Person und die Kälte des Abschieds unser Leben gefrieren lässt? Wenn Übergänge in unser Leben zu unüberbrückbaren Gräben werden, Veränderungen zu Fallstricken statt zu Neuanfängen? Wenn Gott und die Welt uns in einen Wartesaal gesetzt haben, in dem die Zeit zur Endlosigkeit gerinnt?

Wenn wir die Welt um und in uns in dieser Weise erleben, ja, dann sind wir in einer Krise: Wenn das, was bisher Halt und Kraft bot, nicht mehr trägt, wenn ich mich nicht mehr darauf verlassen kann, was bisher verlässlich war. Wenn ich in einem Umbruch bin und nicht mehr weiß, wo’s lang geht. Wie bei einem Stück Stoff, wo am Umbruch eine andere Richtung eingeschlagen wird. Wer sich im Umbruch befindet, hängt auf der Kante und weiß noch nicht, ob er/sie sich wieder fangen wird oder ob es irgendwo ein Netz gibt, das auffängt und trägt.

Als wir bei der Vorbereitung dieser Basisfakultät Überlegungen anstellten zu den einzelnen Tagesthemen, stießen wir bei dem Stichwort „Lebendig“ auf „Krise“. Das griechische Wort „Krise“ bedeutet eigentlich „Entscheidung“ oder „entscheidende Wendung“ und bezeichnet eine „schwierige Situation, eine Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“. Unter Krise verstehen wir eine subjektive Umbruchsituation, ausgelöst durch innere und äußere Faktoren, deren Ausgang offen ist.

Wie gehen wir als Frauen, als frauenbewegte, feministische Frauen eigentlich mit Krise um? Gehen wir anders damit um, weil wir frauenbewegt, feministisch sind? Und: Was bietet uns eigentlich die feministische Theologie, um über unsere eigenen Lebenskrisen hinweg zu kommen?

1. Kein Stichwort, aber eine Erfahrung:

„Sich an allen Ecken wundstoßen und ganz bleiben“ (Rose Ausländer) Schlage ich Handbücher über feministische Theologie auf und suche den Begriff „Krise“ oder „Lebenskrise“, werde ich im Index nicht fündig. Kein Stichwort, kein Hinweis darauf, dass Krise zum Wortschatz feministischer Theologie gehört. Mein erster Gedanke: Feministische Theologie ist ab den 70er Jahren entstanden aus einer Kritik an patriarchalen Strukturen und androzentrischen (auf den Mann und das Männliche gerichtete) Denk- und Ausdrucksformen. In dieser Kritik, die sich konkret äußerte in der Ablehnung überkommener Gottesbilder und Gottesrede, anthropologischer Vorstellungen über Mannsein und Frausein, struktureller Ungerechtigkeit und Machtstrukturen, ist ‚Krise’ lediglich implizit genannt.

In der Auseinandersetzung heißt sie ‚Krise des Patriarchates’, nicht jedoch ‚persönliche Krise’. Doch war diese andere, diese persönliche Krise [die hier in der Basisfakultät im Zentrum steht] immer auch da, wenn auch verborgener. Sie wurde in Frauenkreisen ausgetragen und
durchgearbeitet, in denen Frauen ihre Erfahrungen im Patriarchat und ihre Trauer austauschten.

Auf diese Krise stoßen wir, wenn wir Autobiographien von Frauen [der ersten Generation der zweiten Frauenbewegung] lesen. So schreibt etwa Elisabeth Moltmann-Wendel in ihrer Autobiographie „Wer die Erde nicht berührt“: „Seit 1980 führte ich ein Tagebuch, in das ich alles hineinschrieb und hineinschrie, was mich plagte und was mich freute. Die Plagen nahmen allerdings weit mehr Raum ein als die Freuden, und bei negativen Erlebnissen füllten sich die Seiten rasant.“(178)

Moltmann-Wendel beschreibt, wie sie für ihre Kritik an der männlichen Schultheologie bei einer Tagung Mitte der achtziger Jahre von allen Seiten scharf angegriffen wird. In der Diskussion kontert sie „rational“: „Auferstehung, Kreuz, Tod, Christologie, Schrift … alles
Traditionsgut, mit dem ich umgehen konnte.“ „Frau L. gratulierte mir zum Durchhalten. Irgendwas Schwesterliches war zwischen uns aufgebrochen. … Hinterher war ich wie betäubt.“ (234) Sie will nichts mehr von all dem hören und sehen, will nur noch fliehen „nach so viel Beschädigung und Kränkung.“ Und dann folgt der vielsagende Satz: „Hielt (leider) trotzdem
durch.“ Erst im Flugzeug auf dem Rückweg brechen sich die Tränen Bahn, und sie weint und weint und weint. Sie erkennt die Dissonanz in sich: ich „will friedlich den Feminismus aufbauen und merke dabei nicht oder verdränge, dass ich dabei etwas zerstöre. … Dabei zerstörst Du Dich selbst“, sagt ihr eine Freundin. (234)

Die Krise nicht wahrhaben wollen, in den gebahnten Bahnen der eigenen weiblichen Sozialisation des braven Mädchens bleiben wollen, alles verändern und gleichzeitig alles beim alten Frieden lassen wollen. Diese Krise wird, wie gesagt, lediglich intern ausgetragen und nur autobiographisch vermittelt.

Was zeigt uns diese Erfahrung?

Die ersten feministischen Theologinnen haben ihre persönliche Krise der Kritik am Patriarchat unter- oder zumindest nachgeordnet. Die Krise wurde sozusagen nach außen gewendet, Krise des Patriarchats genannt und in theologische Kritik übersetzt. Wir treffen auf die Verbindung zwischen Krise und Kritik: Die Situation des Umbruchs bringt in eine
einzigartige Position: Wer auf dem Scheitelpunkt einer Krise sitzt, sieht schärfer. Das griechische Wort „krino“ heißt „scheiden, aussondern, entscheiden, urteilen“. Aus diesem Wort leiten sich sowohl das Wort „Krisis“ wie auch das Wort „Kritik“ ab.

Und so erstaunt es nicht, dass wir in der feministischen Theologie dieser Zeit wenig Explizites zum Thema Krise finden, umso mehr aber alle möglichen Neuansätze zu kritischer Reflexion des scheinbar Vorgegebenen. So manche Frau hat ihr Leiden am Patriarchat als spirituellen Weg in eine andere Wirklichkeit beschrieben. So können wir viele autobiographische Texte lesen, wie etwa „Die perlmutterne Mönchin“ von Ursa Krattiger oder Texte von Carol Christ und Mary Daly.

2. Krise und Gemeinschaft

Ein anderer Aspekt, der auffällt, wenn Frauen über persönliche Krisen erzählen, ist das Teilen mit anderen. Als Jenny Nicholson im Juli 2005 bei einem Bombenanschlag in London umkommt, gerät ihre Mutter Julie in eine tiefe Krise. Julie Nicholson ist anglikanische Priesterin. Sie kann den Mördern ihrer Tochter nicht vergeben und glaubt, ihren Beruf als
Seelsorgerin und Pfarrerin aufgeben zu müssen. Kann sie noch die Liebe Gottes verkünden angesichts der terroristischen Hasstat? Julie Nicholson nimmt eine Auszeit. Sie fängt an, andere Menschen zu besuchen, die ähnliche Krisen erlebten, geliebte Menschen verloren haben. An ihrer Suche beeindruckt – sie hat daraus den kürzlich beim „Europäischen
Fernsehfestival für religiöse Programme“ preisgekrönten Film „Die Last der Vergebung“ (2006; engl. Original: „Every Parent’s Nightmare“, BBC One) gemacht –, dass sie das Gespräch mit anderen Menschen sucht, um von ihnen zu hören, wie es ihnen ergangen ist, wie sie die Erfahrung gemeistert haben und was dies für ihren persönlichen Glauben bedeutet. Sie trifft Eltern, die die Ermordung ihres Sohnes als schicksalhaft und gottgegeben hinnehmen („Gott hat uns unseren Sohn gegeben, er hat ihn uns genommen“).

Sie setzt ihre Suche nach Sinn fort und trifft eine Frau mit einer schwer behinderten Tochter, deren Leben bestimmt ist von der täglichen Sorge für diese Tochter. In einem ergreifenden Gespräch erzählt diese Frau darüber, wie anstrengend und schwer ihr Leben seit der Geburt ihrer
Tochter geworden ist. Sie weiß, dass die Tochter jung sterben wird. Sie erzählt nicht nur von der Belastung, sondern auch, wie reich und tief ihr Leben durch dieses Kind geworden ist.

Julie Nicholson nimmt teil und erfährt Anteilnahme: Einerseits durch das Gespräch, in dem beide Frauen einander offenbaren, was sie zutiefst bewegt. (Für mich geschah hier etwas von dem, was Nelle Morton einmal genannt hat: das einander zum Sprechen hören). Anderseits dadurch, dass sie in diesem Gespräch den Anknüpfungspunkt zur Verarbeitung
der eigenen Krise findet. In der einander mitgeteilten und doch so unterschiedlichen Erfahrung dieser beiden Frauen entsteht eine neue Ebene des Verstehens: Beide Frauen werden zu Seelsorgerinnen, indem sie das Tiefste, das die andere bewegt, aus der anderen heraushören, zum Sprechen bringen, und so bei einander Trost finden. Und noch etwas
anders geschieht: Die Tochter, die vor ihr auf dem Schoß der Mutter liegt, wird für Julie Nicholson zum einem Bild der Piéta, Maria mit ihrem Sohn Jesus. In diesem Bild einer Mutter mit ihrem Kind sieht sie ihr eigenes Leben aufgehoben: zurückgelegt in die Arme der Mutter und bewahrt im göttlichen Geheimnis, das hier gegenwärtig, anwesend wird. siehe auch Tremezza von Brentanos Bild „Zum Tod der Tochter meiner Freundin“ – hier finden Sie ebenfalls eine Piéta! Als ihre Freundin anrief und ihr den Unfall ihrer Tochter mitteilte, sah von Brentano vor ihrem inneren Auge „Gotische Pietaholzplastiken“. „Eine Mutter alleine mit
ihrem toten Kind, die auch unser Nichtverstehen des Todes in unfassbarem Schmerz ausdrückt.“ (T. von Brentano, Medienblau, 10–11).

Was in der Begegnung von Julie Nicholson und der anderen Frau geschehen ist, habe ich erfahren als sakramentalen Akt der Annahme. Es ist die Erfahrung, in einen größeren, transzendentalen, d. h. das eigene Ich und die eigene Erfahrungswelt überschreitenden Zusammenhang hineingenommen zu sein. Die Erfahrung des Verlustes hat in der memoria, in der geteilten Erinnerung einen Ort, ja sogar ein Bild gefunden, ebenso das eigene, in Zweifeln zerrissene Leben. Im einander Mitteilen, miteinander teilen ist eine Geborenheit entstanden, die die Endlichkeit, die Verletzlichkeit des Lebens wahrnimmt und zugleich weiß, dass es immer noch eine andere Wirklichkeit gibt, die zwar nicht in unsere Hände gegeben ist, die sich aber im Du des Gegenübers (des menschlichen und des göttlichen) offenbart.

Durch die Deutung auf die Piéta hin stellen sich diese Frauen obendrein in eine lange Tradition, eine Frauentradition hinein: Sie erfahren, dass sie in ihrer Krise nicht allein sind. Hier hat, wie ich meine, feministische Theologie in den letzten Jahrzehnten viel geleistet für die religiöse Deutung der Erfahrung von Krise: im Versuch, dem Sprechen über die Krise eine solche Sprachgestalt zu geben, welche die Lebenserfahrungen von Frauen und ihre Lebenswirklichkeit ernst und wahr nimmt, eine theologische Sprache, die „das existentielle Dunkel lichten und die uns Menschen innewohnende Sehnsucht nach Lebensfülle bestärken“ kann (Dorothea Sattler, in: Räume der Gnade, 45).

Wer in dieser Weise von Gott reden und sich auf die Lebensfragen der Menschen beziehen will, wird die eigene Biographie und die eigenen Erfahrungen einbeziehen. Bei der nordamerikanischen Kirchenhistorikerin Roberta Bondi habe ich eine derartige Verknüpfung von Krisenerfahrungen und Deutung im Licht ihrer eigenen wissenschaftlich-theologischen Arbeit gefunden.

3. Krise – Deutung von Erfahrenem durch Erfahrung

„Dies ist der letzte Tag deines Lebens.“ Mit dieser Vorahnung tritt Roberta Bondi eines Sonntagnachmittags gemeinsam mit zwei Freunden, Pam und Jeff, eine kurze Kanufahrt an. Die drei Freunde haben einen vergnüglichen Sonntagsausflug geplant. Völlig unerwartet wird der Ausflug zu einem Albtraum, der die ganze Nacht dauert. Der sonst so ruhige Fluss hat sich durch treibende Baumstämme in eine gefährliche Falle verwandelt. Umkehren ist nicht möglich, sie gehen an Land und versuchen, ihr Auto zu erreichen, das ein paar Meilen stromabwärts steht. Roberta Bondi, die als Professorin in alter Kirchengeschichte ihr Leben hinter Schreibtisch und Katheder verbringt, fühlt sich in der Wildnis ausgeliefert. Sie erwartet ihren nahen Tod.

Vollkommen erschöpft möchte sie sich nur noch hinlegen und schlafen, ein unmögliches Begehren in dieser aussichtslosen Situation. Da geht Pam auf ihr Bedürfnis ein und legt sich zu ihr und wärmt sie: Pams Liebe „schuf mir einen Platz in der Wildnis, wo ich sicher war, Atem schöpfen und im Vertrauen auf Gottes Liebe akzeptieren konnte, was ich für meinen bevorstehenden Tod hielt.“ (Roberta C. Bondi, Night on the Flint River. An Accidental Journey in Knowing God, Nashville 1999, 63).

Sie berichtet, wie die Nacht anbricht und sie sich gemeinsam mit einem Paddel im Anschlag einen Weg am Fluss entlang bahnen. Während des endlos scheinenden Marsches zieht ihr ganzes Leben an ihr vorbei. Dies ist für sie allerdings keine „spirituelle“ Erfahrung, wie sie beispielsweise der französische Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) in einer Dezembernacht 1654 hatte und in seinem berühmten mémorial niederlegte. Für Pascal stand diese Erfahrung von Feuer und Freude am Ende einer langen Periode der Krise und Gottverlassenheit. Was hingegen Bondi und ihre Gefährten erlebten, ist eine körperlich durchkämpfte Erfahrung von Dunkelheit und Nacht, bei der sie schließlich am Ende ein Licht sehen.

Bondi beschreibt die Ereignisse mit Bildern, die im Kontext menschlicher
(Un-)Glaubenserfahrungen aller Zeiten erkennbar sind: Wildnis, Nacht, Licht, Stern im Dunkeln. In Bondis Bericht über die Kanufahrt finden sich viele Hinweise auf die Offenbarungen göttlicher Liebe der englischen Mystikerin Juliana von Norwich (1343 bis nach 1416), die im 14. Jahrhundert lebte.

Roberta Bondi bedient sich der Erfahrungen dieser mittelalterlichen Mystikerin, um ihre eigene Erfahrung des nahen Todes zu deuten. Im Rückblick interpretiert Bondi das nächtliche Geschehen als ein Geschenk Gottes auf ihrem Weg zu tieferer Einsicht. Ihre Fahrt wird „an accidental journey in knowing God“, ein Wortspiel, am besten zu übersetzen
mit: eine zufällige, durch Unglück bestimmte Reise zur Gotteserkenntnis.
Nicht für jeden Menschen bedarf es einer Krisennacht, um Gott zu begegnen. Die Nacht zeigt sich in vielen Gestalten, ihre Mehrdeutigkeit lässt sich nicht aufheben. Von der Nacht kann Bedrohung ausgehen, sie kann aber auch (wie bei Johannes vom Kreuz) als Raum der
Befreiung erfahren werden. Die Nacht ist, ebenso wie die Wüste, ein Grenzgebiet, ein Ort, an dem Gut und Böse deutlich erkennbar werden.

Die Wüste und die Wildnis können sowohl ein Ort der Prüfung als auch der einer Gottesbegegnung sein. Ebenso steht am Anfang der
Geschichte von Jakobs Kampf mit einem Unbekannten, mitten in der Nacht am Jabbok, oder von Hager in der Wüste deren Ausgang nicht fest: Segen oder Fluch?

Nacht und Wildnis können Fundstätten für Gottes Offenbarung werden. Es ist kein „lieber“ Gott, sondern Gott in der Kraft der Natur, der im Dunkel der Nacht seine eigene dunkle, nicht zu benennende Seite zeigt. In Nacht und Wildnis werden das Unterscheidungs- und Reaktionsvermögen auf die
Probe gestellt: Wozu ist das Leben nützlich, wozu nicht? In Nacht und in Wildnis geht es um Leben und Tod. „Dies ist der letzte Tag deines Lebens“ – die Angst, die Roberta Bondi anfangs vor dem Tod hat, verändert sich angesichts des wirklichen Todes. Ihr wird bewusst, dass Gott auch im Tod gegenwärtig ist –etwas, was sie bisher zwar bekannt, aber nicht erlebt hat. Das Glaubensbekenntnis wird für sie von einem
reinen Lippenbekenntnis zu einem Credo. Ihr wird Gott offenbar, der da ist und da sein wird, was immer sie tut: Vor Gott wird sie nie zur Außenseiterin oder Ausgestoßenen, ganz gleich, was sie glaubt oder tut.

Bondi erlebt die Inkarnation, die Fleischwerdung des Wortes: aufs Neue: „Ich sah Gottes Wort, dasselbe, das Fleisch geworden war, in Jesus Christus von Nazareth. Ich hörte dieses Wort in der Wildnis sprechen, ein leuchtender Stern im Dunkel, das Licht und die Wahrheit
selbst, Struktur und Güte, auf der die Welt beruht, und es war dasselbe Wort, das aus meinem Mund kam und in meiner Freundin aufschien.“ (Night on the Flint River, 166f.)

In der Liebe und Anteilnahme ihrer Freundin Pam, in deren Mitleid und Mitgefühl offenbart sich Gott, weil sich Menschen durch Anteilnahme, Großzügigkeit und Güte als wahrhaftiges Ebenbild Gottes erweisen. Für Bondi ereignet sich die Offenbarung von Gottes Liebe also auch in und durch die Beziehung mit der anderen Person. Die Andere ist diejenige, die Raum schafft, ein Raum, in dem Gott sich offenbart. Bondi folgt hier Juliana von Norwich, indem sie die Erfahrung des Todes fruchtbar macht und Anteilnahme lernt. Sie geht einen anderen Weg als Juliana, indem sie beschreibt, wie ihre Freundin Pam Anteilnahme lebt.

Dadurch kommt Gott ihr in Gestalt der Anderen entgegen. Abstrakter gesagt: In der Anteilnahme des Mitmenschen wird Gottes Barmherzigkeit offenbar. Bondi setzt die Beschreibung ihrer abenteuerlichen und gefährlichen Erfahrung ausdrücklich zu ihrer eigenen theologischen und religiösen Suche in Beziehung. Sie verbindet, bringt die Suche und Spiritualität von Menschen aus früheren Zeiten mit ihrem eigenen Leben ins Gespräch. Die Leser und Leserinnen ihres Buchs will sie anregen, auch im eigenen Leben Erfahrungen von Nacht und Krise als mögliche Fundstätten für Gottesoffenbarungen zu sehen und so einen Raum zu ertasten, in dem Gott in unserer Zeit offenbar werden kann.

Bondi zeigt, wie man mitten in einer Situation von „Nacht“ gewahr werden kann, dass Finsternis und Dunkelheit nicht das abgrundartige Ziel sind. Man kann an der Verheißung des Gegenteils einen Halt finden. Unsere Erfahrung der Krise macht uns bewusst, was wir eigentlich vermissen und wonach wir uns sehnen. Durch bestimmte Erfahrungen, wie die der Anteilnahme anderer Menschen, kann Hoffnung auf eine Wendung entstehen.
Mose, der durch das Volk Israel in der Sklaverei provoziert wird, Gott, der sich nach Hagar umsieht, Pam, die für das sorgt, was Roberta braucht, Menschen, die einer inneren Stimme der Anteilnahme folgen, die ihnen den Weg weist – solche Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart, solche Geschichten über ihre liebevolle Aufmerksamkeit, ihre Sorge um das Wohlbefinden des oder der Anderen, ihr Mitleid und Mitgefühl, befähigen andere, sich der Verheißung des Gegenteils anheim zu geben und Krisennächte durchzustehen.
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