Ulrich Schürrer

Anmeldedatum: 01.11.2006 Beiträge: 33 Wohnort (nur bei Vollmitgliedschaft erforderlich ): Ostfildern
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Verfasst am: 23.12.2006, 15:49 Titel: Bischof Joachim: "Vielleicht fehlt uns Mut zum Frieden& |
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"Vielleicht fehlt uns der Mut zum Frieden"
Der Bischof der Alt-Katholischen Kirche, Joachim Vobbe, über die Botschaft des Weihnachtsfestes, die Diskrepanz zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut, Kriterien einer familienfreundlichen Gesellschaft und die Politik der großen Koalition
Bonn. Warum dringt das "Friede auf Erden" so schwer in die Herzen und die Köpfe der Menschen? "Vielleicht weil uns immer wieder der Mut zum Frieden fehlt", sagt der Bischof der Alt-Katholischen Kirche, Joachim Vobbe, im Weihnachts-Interview des General-Anzeigers.
Dessen Fragen-Gerüst ist die Weihnachtsgeschichte nach dem Lukas-Evangelium. Mit Bischof Vobbe sprachen in Bonn K. Rüdiger Durth, Ulrich Lüke und Joachim Westhoff.
General-Anzeiger: "Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde." Auch in den Kirchen ist viel die Rede von nachlassenden Steuern und steigenden Kosten...
Joachim Vobbe: Ja, es ist zuviel vom Geld die Rede und zu wenig Begeisterung zu spüren. Selbstverständlich frage auch ich mich angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen: Wie kann es gut weitergehen? Aber Verzagtheit ist keine christliche Tugend. Kriterium unserer Hoffnung kann nicht die finanzielle Absicherung sein.
GA: Sollten sich die Kirchen nicht mittelfristig besser durch freiwillige Abgaben als durch Steuern finanzieren?
Vobbe: Ich wage die unpopuläre Aussage, dass die Kirchensteuer das gerechteste Finanzierungssystem ist.
GA: "Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." Immer mehr Kinder sind bei uns auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Hat die Gesellschaft versagt?
Vobbe: In unserer Gesellschaft steht einem immer noch beachtlichen privaten Wohlstand eine zunehmende öffentliche Armut gegenüber. Da muss umgedacht werden. Familien und Kinder dürfen nicht die Opfer sein. Es ist wirklich recht teuer, eine Familie zu haben. Das erlebe ich als Familienvater selbst.
GA: Brauchen wir also eine neue Familienpolitik?
Vobbe: Was wir brauchen, ist ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein: Kinder sind wichtig, nicht weil sie die Pfleger in den Altenheimen von morgen sind, sondern weil sie Hoffnungsträger sind. Sie stehen für den Glauben an eine Zukunft. Kinder rauben nicht Zeit, sie geben Lebenssinn. In einer Gesellschaft, die diese Einsicht verloren hat, regiert der Ellenbogen.
GA: Ist Familienpolitik also letztlich überflüssig?
Vobbe: Nein. Eine gute Familienpolitik kann ja auch das gesellschaftliche Bewusstsein beeinflussen. Das Elterngeld, das es ab Januar gibt, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
GA: Kaum vergeht noch ein Tag, an dem nicht eine schwere Kindesmisshandlung bekannt wird. Sind die Eltern heute überfordert?
Vobbe: Jedes Kind ist für seine Eltern eine permanente Forderung auf zwei Beinen. Viele Situationen bringen Eltern an die Grenzen der Belastbarkeit. Wenn in solchen Situationen die Familie fehlt - damit meine ich auch selbstverständlich so genannte Patchwork- und Ersatzfamilien - dann kann ein Kind durchaus zur Überforderung werden. Jeder Fall von Kindesmisshandlung wirft die Frage auch nach uns auf: Wo wart ihr: Nachbarn, Freunde, Großeltern, Gemeinde, Verein?
GA: Alle Parteien setzen sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Liegt hier vielleicht der Schlüssel für mehr Kinder in unserem Land?
Vobbe: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sicher ein Schlüssel für mehr Kinder. Was aber nutzen die besten Modelle für mehr Vereinbarkeit ohne Bewusstseinswandel? Kinder sind kein notwendiges Übel, das es in die Arbeitswelt zu integrieren gilt. Sie sind Ausdruck unserer Lebenszuversicht.
GA: "Und der Engel des Herrn trat zu den Hirten auf dem Felde und sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht." Angst geht um in der Gesellschaft. Ist diese Angst begründet?
Vobbe: Im Alltag eines jeden gibt es berechtigte Ängste. Doch können wir unser Leben nicht meistern, wenn das Vertrauen nicht dominiert und wir nur noch auf die Gefahren und Risiken schauen.
Ich habe den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft eine Angst überhand genommen hat, die uns vor allem um jedes Fitzelchen Wohlstand bangen lässt. Das macht handlungsunfähig. Wer dagegen einen Glauben hat, riskiert auch etwas.
GA: Nicht wenige Menschen sind enttäuscht von der großen Koalition, in die sie große Hoffnungen gesetzt hatten...
Vobbe: Die große Koalition ist doch vielleicht besser als ihr Ruf. Der Wirtschaft geht's etwas besser, es gibt etwas mehr Arbeitsplätze. Viele Menschen meinen, wenn sie politisch von Hoffnung reden, nur die Festschreibung ihrer persönlichen Ansprüche.
Hoffnung heißt aber: Über den eigenen Bauchnabel hinaus zu schauen und in dieser Zuversicht eigene Schritte zu gehen. Das meint auch, selbst Verantwortung für eine bessere Zukunft zu übernehmen und möglichst Politik auch aktiv mitzugestalten.
GA: Sind kleine, vor allem rechte Parteien eine Alternative gegen die Angst?
Vobbe: Die rechts- und linksextremen Parteien sind vermutlich deswegen für einige so attraktiv, weil sie die Welt in schwarz und weiß, in gut und böse aufteilen. So schlicht gestrickt ist die Welt aber nicht.
GA: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll." Was muss eigentlich geschehen, dass die Deutschen zufriedener werden?
Vobbe: Viele Menschen lassen sich nur noch von der Frage leiten: Was bringt mir das? Was wir durch Weihnachten lernen können ist jedoch, dass Frieden und Zufriedenheit nicht durch das Kreisen um die eigene Achse, sondern durch Gerechtigkeit entstehen.
Wir brauchen - nicht nur an Weihnachten - die Erfahrung, dass das Schenken von Zeit, Zuwendung, aber auch von Sachen nicht nur dem Beschenkten, sondern auch dem Schenkenden Freude macht. Ehrenamtliches Engagement zum Beispiel im sozialen und kirchlichen Bereich kann auch den Engagierten selbst beglücken.
GA: Wie buchstabieren Sie die "große Freude", die die Kirchen an Weihnachten verkündigen?
Vobbe: Gott ist Mensch geworden, damit wir heil werden und uns mit ihm zusammen eine Welt ersehnen und erhoffen, in der "Blinde sehen, Stumme Lieder singen, Lahme tanzen" können. In gewissem Maße erfahren wir das gerade in der Weihnachtszeit: Wir Blinden sehen wenigstens an diesen Tagen aufmerksamer das Leid in der Welt.
Zu keiner anderen Zeit im Jahr wird soviel gespendet. Wir Stummen singen Lieder. Wenigstens an Weihnachten singen wir noch gemeinsam. Wir Lahmen machen uns auf zu solchen, die wir vielleicht lange nicht mehr besucht haben. Das hat doch was. Es könnte immer so sein - nicht nur zur Weihnachtszeit.
GA: "Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Steht dieser Satz nicht im Gegensatz zum heutigen Menschen, der sich gegen Herren, gleich welcher Art, auflehnt?
Vobbe: Christen kennen keinen Hochmut, weil sie einen Herrn haben. Christen kennen keine Hoffnungslosigkeit, weil sie diesen Herrn haben.
GA: Bilden der christliche Glaube und die Freiheit nicht unversöhnliche Gegensätze?
Vobbe: Recht verstandener christlicher Glaube befähigt uns Menschen zu einer Freiheit des aufrechten Gangs, einer Freiheit, die uns aus dem Jammertal unserer Bauchnabelschau aufrichtet, uns zum Schauen über den Tellerrand, zum mutigen Eintreten gegen Ungerechtigkeit und Gewalt und zum Dienst an Gott und den Menschen ermuntert.
GA: "Und alsbald war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe." Immer mehr Kreuze verschwinden aus dem Alltag - in Trier aus den Gerichtssälen, in Berlin aus öffentlichen Gebäuden, aus Schulen...
Vobbe: Das Kreuz ist ein Ärgernis, wer will das bestreiten. Die Menschen lassen sich nicht gerne an Leid und Tod erinnern. Das Kreuz ruft uns in die Verantwortung: Ich gebe mich in eure Hand, sagt uns Gott vom Kreuz herab. Sorgt für mehr Gerechtigkeit und Freiheit.
GA: Von der Ehre Gottes will zumindest auch die Wirtschaft nicht mehr viel wissen, wenn es um den Sonntag geht. Ist der Widerstand gegen die Entwertung des Sonntags zu schwach?
Vobbe: Ja, unser Widerstand ist zu schwach. Wir brauchen als Menschen, um Menschen sein zu können, unverzweckte, eben ,heilige' Orte und Zeiten. Fast alles erscheint uns käuflich, verfügbar. Das aber ist eine Täuschung. Da sind solche unverfügbaren Zeiten und Zonen buchstäblich heilsnotwendig.
GA: "Und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens." Warum dringt das "Friede auf Erden" so schwer in die Herzen und Köpfe der Menschen?
Vobbe: Vielleicht, weil uns immer wieder der Mut zum Frieden fehlt. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt kann nur durchbrochen werden, indem einmal einer nicht auf Gewalt mit Gewalt antwortet. Ein solches Verhalten erfordert Mut zum ersten Schritt und das Bewusstsein, so wie es ist, muss es nicht sein. Es geht auch anders.
GA: Halten Sie es für richtig, dass die Bundeswehr zu immer mehr Einsätzen an immer mehr Orten der Welt eilt?
Vobbe: Die Bundeswehr versteht sich als Friedenstruppe. Das ist gut. Freilich müssen wir alles tun, dass die jungen Männer und Frauen, die in gefährliche Einsätze geschickt werden, mit der Verarbeitung ihrer Erlebnisse nicht allein gelassen werden.
GA: Was können die Kirchen gegen den nach wie vor umfangreichen deutschen Rüstungsexport tun?
Vobbe: Wo immer diese Exporte ein schieres Aggressionspotenzial verstärken oder in dunkle Kanäle fließen, gilt es deutlichst zu protestieren.
GA: "Als die Hirten aber das Kind in der Krippe gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kind gesagt war." Von Mission ist viel die Rede. Was verstehen Sie darunter?
Vobbe: Mission ist erzählen von dem, was man liebt. Wem der christliche Glaube wichtig ist, der handelt danach und spricht auch darüber, wo es angebracht ist. Nur wo wir Christen selbst wieder begeisterte Menschen werden, uns von der Freude des Evangeliums anstecken lassen, sind wir glaubwürdig. Wir selbst müssen Hoffnungsträger sein.
Zur Person
Der gebürtige Bad Honnefer Joachim Vobbe, der am 5. Januar 2007 in der Bonner Kirche St. Cyprian mit einer Vesper und einem anschließenden Empfang im Haus der Evangelischen Kirche seinen 60. Geburtstag feiert, hatte auf dem Gymnasium in Religion nicht immer nur gute Noten.
Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab, Theologie zu studieren. 1972 wurde er zum römisch-katholischen Priester geweiht. 1977 trat er in das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland ein und wurde Pfarrer in Blumberg (Baden) und Offenbach.
1994 wurde er als Nachfolger von Sigisbert Kraft zum 9. Bischof der Alt-Katholiken mit Sitz in Bonn gewählt. Bischof Vobbe ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Auf jährlichen "Herdenbrieftagen", einem Brainstorming von Laien und Geistlichen aus seinem Bistum und der Ökumene, hat er Material gesammelt für seine Bischofsbriefe zu den Sakramenten und zur Frauenordination, die unter dem Titel "Brot aus dem Steintal" als Buch erschienen sind.
Vobbe hat sich in Periodika und Buchbeiträgen immer wieder zu spirituellen Themen und aktuellen ökumenischen Fragen geäußert.
(23.12.2006)
Quelle: http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=news&itemid=10028&detailid=258370 |
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