André Golob

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Verfasst am: 10.11.2006, 16:26 Titel: Körperlichkeit in Alltag und Liturgie |
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Körperlichkeit in Alltag und Liturgie
Das abendländische Erbe
Es ist ein Manko, das nicht nur die abendländische Kultur sondern auch das gesamte Christentum durch den Einfluß der hellenistischen Philosophie einseitig beeinflußt wurde. Mit Platon und seinen Schülern drängte sich ein latenter Dualismus in unsere Geisteswelt, der ursächlich war für die Leibfeindlichkeit und den neurotischen Umgang mit dem eigenen Körper und der Glorifizierung des Geistes. Eine Entwicklung, die die asiatische Welt z.B. überhaupt nicht kennt. Dort steht Körper und Geist noch in einer untrennbaren Einheit zusammen, eine Tatsache, die in der chinesischen Medizin und fernöstlichen Meditations- und Bewegungskünsten ihren Ausdruck findet.
Körper und Geist bedingen einander – dies wissen auch wir Westmenschen spätestens seit der Wiederentdeckung der Psychosomatik. Ganz banale Dinge zeigen uns tagtäglich, daß Geist, Seele und Körper in Wechselspiel stehen. Wenn wir uns freuen, kontraktieren sich Muskeln in unserem Gesicht zu einem Lächeln, denn wir uns erschrecken reißen wir unwillkürlich unsere Hände vors Gesicht.
Aber auch willkürlich bringen wir körperlich zum Ausdruck, was unsere Gedanken bewegt. Wir küssen einen Menschen, den wir lieben, wir grüßen einen Bekannten, der an uns vorübergeht und winken ihm zu, wir helfen – wenn wir wohlerzogen sind – einer Dame in den Mantel. Viele Verhaltensweisen sind angelernt und kulturgedingt. In chinesischen Restaurant gilt Schmatzen als Zeichen, daß das Essen mundet – in Deutschland gibt es Ablaß zur barscher Kritik. Das Buch des Freiherrn zu Knigge hält die wichtigsten Konventionen für unseren Kulturraum fest.
Der Körper als liturgisches Ausdrucksmittel
Tatsache ist, daß es Menschen zueigen ist innere Situationen auch körperlich zum Ausdruck zu bringen und das ist gut und natürlich so. Was für den Alltag gilt, sollte demnach auch für die Festzeiten, insbesondere den liturgischen Ausdruck, gelten. Seit Generationen haben sich körperliche Ausdrucksformen entwickelt, mit denen wir unser religiöses und liturgisches Tun unterstreichen. Viele Dinge, wie das Knien oder das Liegen im Gottesdienst, verloren ihre Bedeutung und haben nur noch in seltenen Momenten wie z.B. bei Weihehandlungen oder in der Karfreitagsliturgie ihren Platz.
Dies mag man bedauern oder begrüßen. Tatsache ist jedoch, daß körperliche Komponenten in der Gottesdienstgestaltung immer mehr zurückgehen. Meist ist es nur der Vorsteher des Gottesdienst, der auch körperlich agiert, der durch Gesten, durch Verbeugungen und Knien einen Hauch von Leiblichkeit in den Gottesdienst bringt und damit seinen Worten auch physischen Ausdruck verleiht. Böse Zungen könnten diesbezüglich von einer Verklerikalisierung der religiösen Praxis sprechen. Stärker ist dies Phänomen in evangelischen Kirchen anzutreffen, der Trend zur körperlichen Passivität findet aber immer mehr auch in der katholischen Gottesdienstpraxis Einzug. Mitunter erscheinen Gemeinden als außenstehender Betrachter, der stets sitzend einem religiösen Schauspiel beiwohnt. Allein der Gesang und der Gang zur Kommunion läßt die Gemeinde noch als Teilnehmer der Liturgie erkennen, kaum aber als Träger derselben.
Ein allein geistiger Mitvollzug der Liturgie verstellt die Sicht auf die sinnlichen Elemente jeder Eucharistiefeier und beschneidet die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten sowie die Kreativität an der Wurzel. Kritisierte man vorher die reine Äußerlichkeit manch religiösen Handelns, so verfällt man nun ins andere Extrem. Passivität ist ein Hauptproblem unserer Gesellschaft, die im Schnitt mehr als vier Stunden vor dem Fernseher verbringt und sich einseitig berieseln läßt ohne teilzuhaben und mitgestalten zu können. Der Zuschauer erscheint als Opfer – ausgeliefert und manipuliert, in relativer Abhängigkeit.
Die Erotik des Religiösen
Deshalb soll es anders sein in unseren Kirchen. Es darf nach Ausdrucksmöglichkeiten gesucht werden, nach körperlicher Zeichenhaftigkeit. Hier müssen wir nicht sitzen, hier können wir mittun, aus uns heraus gehen, aktiv mitgestalten und mitunter sogar die Erotik des Religiösen spüren. Gottesdienst feiern ist ein sinnenhaftes Erleben und zeichenhaftes Tun zugleich. Deshalb beginnen wir stehend, jubelnd, uns freuend, daß Christus unter uns ist. Nehmen wir ihn bei der Hand, umarmen wir ihn, singen wir Halleluja und hüpfen dabei vor Freude. Wenn ich einem geliebten Menschen im Park erblicke, dann bleibe ich auch nicht auf der Parkbank sitzen, sondern stehe auf, gehe ihm entgegen und umarme ihn. Das natürliche Wechselspiel von Geist und Körper ist entscheidend.
Wie sagt der große Vergil: Mens agitat molem (der Geist bewegt die Materie, Äneis 6, 620). Lassen wir uns bewegen!
André Golob |
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