André Golob

Anmeldedatum: 21.10.2006 Beiträge: 129 Wohnort (nur bei Vollmitgliedschaft erforderlich ): 46236 Bottrop
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Verfasst am: 05.02.2007, 21:10 Titel: MK 12, 28b-34: Aber ich bin jemand ! |
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Eucharistiefeier
31. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B
Alt-kath. Gemeinde Bottrop, 05.11.2006, 10.00 Uhr
Kreuzkampkapelle, Christi Verkündigung
Leitung und Predigt: Vikar Dr. André Golob
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MK 12, 28b-34 Aber ich bin jemand !
Ich will die heutige Predigt mit einem kleinen Quiz beginnen. Wie viele Knochen hat der Mensch in seinem Körper? Na was schätzen Sie? .... Es sind ganz genau 248 – ne ganze Menge. Einfacher ist da die zweite Frage: Wieviel Tage hat das Jahr. Genau 365! Addiert man die Anzahl der menschlichen Knochen mit den Tagen des Jahres, erhält man genau die Zahl der Bestimmungen des jüdischen Gesetzes. Es sind 248 Verbote und 365 Gebote, also insgesamt 613 Weisungen. Da bleibt einem die Luft weg. Da muß man schon einigermaßen begabt sein, um sich alle zu merken. Doch noch schlimmer ist es in der römischen Kirche. Wie die meisten wissen habe ich ja auch kanonisches Recht studiert, also römisches Kirchenrecht. Da gibt es 3298 Bestimmungen, ohne Partikularrechte oder Regelungen für einzelne Länder, oder Ordensgemeinschaften. Und wehe man schafft es nicht alle zu halten, dann gibt es Menschen die kommen sofort mit dem Zeigefinger, oder der Rute, oder der Exkommunikationsurkunde, oder dem Scheiterhaufen oder noch schlimmer: der ewigen Höllenqual.
Das kanonische Recht verlangt seinen Mitgliedern viel ab. Und wenn man versagt hat (z.B. sich scheiden läßt), dann gibt es keine Kommunion, dann vorenthält man uns das, was man das Allerheiligste nennt.
Im Judentum aber, die Religion mit den 613 Gesetzen, die man kennen muß, wenn man zum Judentum konvertieren will – Im Judentum gibt es eigentlich gar keine Gesetze in unserem Sinne. Wir Christen hier sind geprägt vom abendländischen Denken, von Immanuel Kant, dem Philosophen aus Königsberg, vom preußischen Recht und und und. Doch „Gebot“ oder „Gesetz“ sind Übersetzungen, die zu den jüdischen Geboten so nicht passen. Dort heißt es nicht „du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten“, sondern „es schickt sich nicht dieses oder jenes zu tun“. Worte wie „Wesensausrichtung“ oder besser „Bestimmung“ treffen weit eher den Sinn als die Begriffe „Gebot“ oder „Gesetz“. Es geht vielmehr darum, um was es in unserem Leben ankommt. Welche Maßstäbe geben wir unserem Leben, welche Inhalte, welche Ziele. Nach diesen fragt der Pharisäer. Und heutigen Menschen klingt das Wort, das Jesus auf die Frage des Schriftgelehrten entgegnet, womöglich schon sehr abgegriffen: „Du sollst den Herrn, deine Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen“. Doch so sehr wir diese Antwort auch zu kennen glauben, wie bringen wir es fertig, wirklich nach ihr zu leben?
Es gibt Psalmen, die die ganze Schöpfung auffordern, Gott zu preisen und zu lieben. Psalm 148 z.B. Dort heißt es: „Ihr Vögel des Himmels, ihr Fische im Meer, Schnee, Regen und Hagel, preiset den Herrn.“ Mit diesen Worten endet das Gebetbuch des alten Israel, das offensichtlich jedes Teil der Schöpfung beschwören möchte, mit einzuschwingen in den großen Zusammenhang des Lebens, aus dem heraus es gestaltet wurde. Dieser Gedanke eines universellen Hymnus der Welt ist großartig und schön. Er legt es uns als Menschen nahe, von allem was uns umgibt, zu lernen, was es heißt Gott zu lieben. So können z.B. auf der unterster Stufe der Schöpfung bereits die Schneekristalle uns eine Form der Gottesliebe lehren, indem sie uns zeigen, in welch einer Schönheit sie im Spiel von Wind und Kälte ihre Gestalt gewinnen. Aus einem Wassertropfen formt sich nach den Gesetzen der Physik ein Gebilde, das es im ganzen Weltall, in dem unermeßlichen Auf und Ab des Kosmos, nur ein einziges mal gibt. Indem es sich so fügt, preist es seinen Schöpfer. Vieles kann uns lehren Gott zu lieben. Manch älterer Mensch beobachtet das Spiel der Spatzen und Schwalben in seinem Garten. Sieht kleine Vögel heranwachsen. Unbeholfenen Flugversuchen folgen die ersten Meter in der Luft – einst wird der kleinen Vogel zur vollen Größe heranwachsen Sternbildern folgen, die er noch nie gesehen hat, Hunderte und Tausende Kilometer nach Süden fliegen.
Sie können nicht wissen, die Schneekristalle und die Schwalben, daß ihr ganzes Dasein ein einziger Lobpreis Gottes ist.
Wie steht es da mit uns Menschen. Oft zeigt man uns Gott wie einen fernen, fremden Gesetzgeber, unter dessen Macht wir uns beugen müßten wie unter einer unsichtbaren Diktatur. Oder man zeigt uns Gott wie jemanden, den zwar wir selber niemals sehen können, der aber uns mit seinen Augen ständig verfolgt, belauert und bespitzelt. Im Getto solcher Ängste kann man formal vielleicht alle Gebote einhalten, und doch ist man nicht bei Gott, sondern befindet sich in einem Netz vollendeter Außenlenkung, Abhängigkeit und fortschreitender Selbstzerstörung. Nie wird man auf diesem Wege dahin gelangen, Gott zu lieben, schon gar nicht mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzem Denken.
Uns ginge etwas verloren, daß die Schöpfung noch kennt: Vertrauen – Vertrauen darauf, daß Gott etwas in dir gelegt hat, befolge es gegen jeden Widerstand, sei ihm treu gegen alle Angst. Wenn Gott schon den Vögeln soviel Grazie gibt, einem winzigkleinem Schneekristall solch Schönheit schenkt, um wieviel mehr liebt er dich, du Mensch. Mach dich frei, von den Vorstellungen Gott sei ein Potentat, ein Gesetzgeber. Laß den Papst Gesetzgeber sein – aber nicht Gott. Weg damit. Es ist dies Gesetz des Lebens, das Israel selber gelernt hat, als es dem Gott seiner Väter folgte: daß an Gott zu glauben identisch ist mit Aufbruch und Freiheit, mit dem Abschütteln von Ketten, mit Ausbrechen aus jeglicher Art von Sklaverei – hinein ins Glück und in das e i g e n Leben. Warum glaubt denn keiner mehr an Gott, warum haben die Kirchen abgewirtschaftet – weil sie nicht die frohe Botschaft verkünden, sondern Knechtschaft und Angst vor Geboten, Gesetzen und Strafen, weil Vertrauen und Liebe von Dogmen und Lehrsätzen unterdrückt wird. Dogmen, die weder in uns liegen noch von Gott sind. Weiten muß sich die Seele und frei atmen – nicht eingeengt und umklammert von Dämonen. Zerreißen müssen wir das große Buch vom Nikolaus, den es ist ein Stasibuch.
In Wahrheit ist Gott die Weite unseres Herzens und die Unendlichkeit unseres Denkens. Teuflisch ist, wenn andere die Kontrolle über uns haben, uns weiß machen wollen, wir seien nichts.
Ich habe einmal in Fernsehen gesehen wie Martin Luther King über den heutigen Markustext gepredigt hat. Er predigte zu Menschen, denen man alles Mögliche angetan hatte, um ihr Fortkommen zu beschneiden, ihre Würde zu schänden, ihre Aussicht auf Zufriedenheit und Glück zu zerstören, ja oft sogar ihre Gesundheit zu mißhandeln – er sprach zu den Ärmsten der Armen in Alabama. Und er hielt eine Rede, in der er eigentlich nur aufzählte was man seinen Zuhörern zugefügt hatte. Er schaute dabei jedem einzelnen in die Augen als sei er gemeint. „Es kann sein, ich habe nie eine Schule besuchen können, es kann sein, ich habe nie ein paar Schuhe an meinen Füßen getragen, es kann sein, ich kann nicht mal meine Muttersprache richtig sprechen, es kann sein, daß ich kein Zuhause besitzt, keine Einkommen habe, es kann sein, daß ich nicht weiß wo ich heute Nacht schlafen soll.“ Doch nach jedem dieser Sätze fügte Martin Luther King hinzu: „Aber ich bin jemand. Es kann sein, man hat dir oft erzählt, daß du ein Nigger bist: but I am somebody – aber ich bin jemand“. Nach wenigen Sätzen verwandelte sich diese Predigt in einen Gesang, in dem die ganze Gruppe mit glänzenden Augen, mit wiegendem Oberkörper, begann zu tanzen und immer wiederholte: „Aber ich bin jemand“. Tränen liefen ihnen übers Gesicht. „Ich bin jemand.“ Menschen zu zeigen, wie sie von Gott her ihre Würde wiederfinden können, das bedeutet es, Gott zu lieben mit ganzem Herzen und den Nächsten wie sich selbst.
Tief in uns hat Gott die Sehnsucht gelegt und es bedarf manchmal nur eines einzigen Anrufs um sie freizusetzen. Wir alle besitzen vor Gott eine unvertauschbare Bedeutung, Würde und Größe. Wann immer wir einen Menschen von Herzen lieben, wird dieser Glanz seine Seele erhellen. Wann immer wir es fertigbekommen, einen anderen Menschen von seiner Größe zu überzeugen, werden wir gemeinsam näher zu Gott gelangen. Es gibt kein Gesetz außer diesem einen: sich selber treu zu sein und Gott, der uns geschaffen hat.
Amen |
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